Der Kapitalismus funktioniert auch mit Blöden

15. Februar 2015aikos2309

Der Kapitalismus funktioniert auch mit Blöden

von haunebu7

Performer, Styler, Egoisten: Über eine Jugend, der die Alten die Ideale abgewöhnt haben. Der Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier sieht die heutige Jugend als Opfer der totalen Herrschaft des Markte…

Quelle: Der Kapitalismus funktioniert auch mit Blöden

Der Kapitalismus funktioniert auch mit Blöden

15. Februar 2015aikos2309

Performer, Styler, Egoisten: Über eine Jugend, der die Alten die Ideale abgewöhnt haben.

Der Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier sieht die heutige Jugend als Opfer der totalen Herrschaft des Marktes. Schuld an ihrer Verblödung seien auch die Reformen des Bildungssystems nach den Bedürfnissen der Wirtschaft.

Der Neoliberalismus ist ein Gas (Deleuze). Einem Gas kann man kaum Grenzen setzen. Aus der Ökonomie kommend strömt es ungehindert in alle Diskurse und Lebenswelten ein. Ökonomische Imperative greifen auf alle Sphären der Gesellschaft über auf Schule, Familie, Gesundheitswesen, Kultur, Bildung usw. Die Gesellschaft ist zum Anhängsel des Marktes geworden.

Wir treffen heute auf ein Phänomen, das in den Sozialwissenschaften als Werteverschiebung vom Postmaterialismus zum Neomaterialismus bezeichnet wird. Der Neomaterialismus steht für eine Grundhaltung, die postmaterielle Werte der 68er Generation wie Solidarität, Toleranz, idealistische Selbstverwirklichung und die Kritik an gesellschaftlicher Ungerechtigkeit und Unterdrückung durch ein neomaterialistisches Wertesetting ersetzt, in dem die beherrschenden Werte Sicherheit, Konsum, sozialer Aufstieg, Nutzenorientierung und Affirmation der gesellschaftlichen Verhältnisse sind. Berechtigt ist nur, was sich vor dem Richterstuhl der ökonomischen Imperative bewähren kann. Was sich nicht verwerten lässt, wird exkludiert, auch wenn es sich dabei um Menschen handelt.

In verschulten und autoritär reglementierten Universitäten, in denen Bildung durch die unkritische Akkumulation von Fachwissen und dessen Abprüfung im geistlosen Multiple-Choice-Verfahren verdrängt wird, werden die Jugendlichen systematisch für die Verwendung im Markt hergerichtet.

Kritische Reflexionen sind nicht mehr gefragt. Bildung als Erziehung zur Freiheit, als Persönlichkeitsbildung, als Förderung von kreativen und ästhetischen Fähigkeiten, Bildung der Gesinnung und des Charakters (Humboldt) alles längst verabschiedet und auf den Müllhaufen der Geschichte geworfen. Am Ende verlässt schön verpacktes Humankapital die bildungsökonomisch hocheffizienten Ausbildungsfabriken.

Doch die gut ausgebildeten Ungebildeten sind ängstliche Kreaturen. Mit begrenztem Horizont und engem Herz geht diese neue Elite durch die Welt, die Angst im Nacken, von anderen, ebenso coolen Charakteren wie sie selbst aus dem Feld geschlagen zu werden.

Interview: Performer, Styler, Egoisten

„Leben ist kein Vergnügen mehr“, schreiben Sie in Ihrem BuchPerformer, Styler, Egoisten“. Wenn man abends durch die Düsseldorfer Altstadt geht und die jungen Menschen in den Kneipen sieht, hat man nicht den Eindruck, dass die ihr Leben nicht genießen.

Heinzlmaier: Ich glaube nicht, dass die, die da feiern, glücklich sind.

Warum?

Heinzlmaier: Ich muss ein bisschen ausholen. Für Jugendliche gibt es heute zwei große Anrufungen. Die erste ist der Arbeitsmensch, der sich nach Werten wie Askese, Leistung, Konkurrenz, Verzicht zu richten hat. Die zweite ist der Freizeitmensch, der sich an Spaß, unverbindlichen Beziehungen und Zügellosigkeit, am Rauschhaften ausrichtet. Dieser Widerspruch ist in der Gesellschaft, weil wir als Berufsmenschen und Konsumenten funktionieren müssen. Beide Rollen sind wichtig, damit sich das System reproduzieren kann. In unseren Studien zeigt sich, dass das Freizeitvergnügen in erster Linie eine kompensatorische Funktion hat, nämlich das Arbeitsleid zu vergessen. Und dieses Leid entsteht aus dem steigenden Druck bei der Arbeit, aus der Verdichtung der Anforderungen und der Kontrolle. 

Kurz: Die Probleme liegen in einem System begründet, das die Menschen nicht zur solidarischen, gemeinsamen Handlung motiviert, sondern in erster Linie die Konkurrenz verschärft. Darunter leiden die Menschen.

Also feiern die jungen Menschen nicht aus reiner Lebensfreude, sondern um Druck abzulassen?

Ja. Man belohnt sich selbst für all das, was man ertragen hat.

Sind die gesellschaftlichen Nischen, die dem – wie Sie schreiben – „Richterstuhl der ökonomischen Imperative“ verborgen bleiben, weniger geworden?

Ich denke schon. Der Markt ergreift immer neue Lebensbereiche und Segmente der Gesellschaft. Bildung, Altersvorsorge, Pflege. Vieles, was noch vor dreißig Jahren eine Aufgabe des Gemeinwesens war, wurde auf den Markt verlagert. Die Imperative des Marktes gelten mittlerweile sogar in der Familie.

Und das kriegen auch schon Teenager zu spüren?

Zweifellos. In meiner Jugend in den 1970er und 80er Jahren haben wir überhaupt nicht an Wirtschaft gedacht. Wir hatten keine Angst vor der beruflichen Zukunft. Heute bekommen Kinder und Jugendliche laufend gesagt, wie schwierig es wird:Du musst eine gute Ausbildung haben, dich anstrengen, du hast viele Mitbewerber. Diesen Zwang, sich selbst als Produkt zu positionieren und zu perfektionieren, bekommt heute schon der 12-Jährige mit. Die Kinder werden frühzeitig den Prinzipien der Warenästhetik untergeordnet. Der Druck kommt von den besorgten Eltern, die Angst haben, dass ihre Kinder scheitern. Und von den Schulen, die immer mehr auf die Marktbedürfnisse ausgerichtet werden.

Marktferne Existenzen, also Schriftsteller, Wissenschaftler, Künstler waren aber doch immer schon soziale Ausnahmen.

Ja. Je niedriger das Bildungsniveau desto mehr waren auch früher die Menschen darauf angewiesen, sich dem Markt anzupassen. Für den traditionellen Industriearbeiter hat sich gar nicht so viel verändert. Der war immer dem Produktions-regime unterworfen. Die Mittelschicht aber genoss einige Freiräume. Und die verliert sie jetzt und wird ganz und gar in die Marktgesellschaft hineingedrückt.

Aber die humanistisch gebildeten Bürger sind doch nicht verschwunden. Die philosophischen Fakultäten der Universitäten sind voller Studenten.

Die sind nicht ausgestorben, aber sie werden an den gesellschaftlichen Rand gedrängt. Sie spielen in den öffentlichen Diskursen keine Rolle mehr. Gilles Deleuze sagt, der Neoliberalismus sei wie ein Gas, das in die Köpfe, ins Denken der Menschen eindringt. Dieses Gas sorgt dafür, dass man nichts mehr durch einen philosophischen oder kulturwissenschaftlichen Diskurs legitimieren kann, sondern durch einen ökonomischen. Für Politik und Wirtschaft spielen Philosophen überhaupt keine Rolle mehr. Den Sloterdijk lädt man sich mal für einen interessanten Abend ein, aber was er sagt, ist dem Siemens-Vorstand völlig egal.

Die Krise macht nicht rebellisch, sie diszipliniert

Sie sind ja längst nicht der einzige, der über den Verlust der humanistischen Bildung klagt. Doch warum verpuffen diese Klagen?

Der Grund dafür, dass diese Klagen keine Wirkung entfalten, liegt darin, dass das kapitalistische System blendend ohne humanistisch gebildete Menschen funktionieren kann. Was die Funktionsfähigkeit dieses Systems nicht befördert, das wird einfach nicht mehr besprochen. Die Rolle, die früher Bildung für die Menschen spielte, hat jetzt die Halbbildung übernommen, die über die Medien verbreitet wird. Konrad Paul Liessmann hat das in seiner „Theorie der Unbildung“ anhand der Quiz-Sendung von Günther Jauch gezeigt.

Warum rebelliert die Jugend nicht gegen die öffentliche Verblödung?

Weil man als blöder Mensch gut leben kann, solange die wirtschaftliche Situation gut ist. Die hohe Attraktivität der Konsumangebote bindet die Energie der Jugend und löst ihre Kritik auf. Die Leute lassen sich lieber unterhalten, als sich kritisch mit den Verhältnissen auseinander zu setzen.

Und daran ändert auch die aktuelle Wirtschaftskrise nichts?

Die Krise wirkt hochgradig disziplinierend. Sie produziert Angst, dass ein gutes Leben nicht mehr selbstverständlich erscheint. Deswegen sehe ich einen Trend zu einer pragmatischen Lebensführung. Die jungen Menschen versuchen Erfolg zu haben durch Anpassung.

Also kein Zorn gegen ein gescheitertes System?

Das ist eine Randposition. Wir wissen aus den sozialwissenschaftlichen Studien der vergangenen 150 Jahre, dass Krisen die Menschen passiver und disziplinierter machen. Sie werden unkritischer und versuchen, mit Unterwerfungsgesten durchs Leben zu kommen. Eine Krise führt nicht notwendigerweise zur Rebellion. Erst wenn der wirtschaftliche Totalzusammenbruch käme, könnte es sein, dass sie revoltieren. Aber auch das ist nicht gewiss. In Spanien ist jeder zweite Jugendliche arbeitslos, und dennoch gibt es keine Revolution.

Sind die jungen Menschen wirklich so unkritisch? Ich habe den Eindruck, der Konsum selbst ist durchaus ein moralisches Geschäft geworden. Man achtet immer mehr auf die „grüne“ und sozial verträgliche Herkunft der gekauften Waren.

Es wird viel moralisiert und wenig moralisch gehandelt. Überall entstehen Lehrstühle für Wirtschaftsethik. Aber wenn in Unternehmen von Ethik die Rede ist, geht es um moralisches Handeln zum Zweck der besseren Marktleistung. Ethik wird zum Faktor der Absatzsteigerung.

Der Wille der jungen Menschen, moralisch einwandfreie Waren zu kaufen, ist doch echt.

Ja. Aber wir müssen sehen, wie groß die Gruppe ist, die das macht. Es sind vielleicht zehn bis fünfzehn Prozent der Jugendlichen, die man als Postmaterialisten definieren kann. Eine Minderheit, die aber sehr laut über ihre Prinzipien spricht. Der große Rest bleibt vom moralischen Konsum völlig unberührt.

Als Ursache der Verblödung der Jugend machen Sie – und Sie stehen da längst nicht alleine – die Bildungsreformen der letzten Jahre aus. Nehmen wir mal an, Sie stünden jetzt vor der deutschen Kultusministerkonferenz, was würden Sie Bildungsministerin Johanna Wanka und Kollegen sagen?

Ich würde Ihnen sagen, dass das Problem 2001 mit PISA begonnen hat. Wir haben damit unsere ganze Bildungsdiskussion an die OECD übergeben. Also an eine Wirtschaftsorganisation. In Österreich hat man gleich mit Claudia Schmied eine Ökonomin und ehemalige Bankdirektorin als Ministerin für Unterricht, Kunst und Kultur eingesetzt. Wir brauchen in der Bildungspolitik andere Expertisen als die aus der Ökonomie. Man soll den Markt nicht verteufeln, da bin weit von entfernt. Aber man muss die Grenzen des Marktes in der Bildungspolitik bestimmen. Es muss eine Mischung geben aus einer ökonomisch und einer humanistisch orientierten Vernunft. Derzeit wird die humanistische Vernunft ausgelöscht, so dass nur mehr die pure ökonomische Logik regiert.

Buch: Performer, Styler, Egoisten: Über eine Jugend, der die Alten die Ideale abgewöhnt haben von Bernhard Heinzlmaier

Quellen: PRAVDA TV/PublicDomain/wiwo.de vom 15.02.2015

V

Kommentar verfassen